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Leseprobe: Die zerbrochene Rebe - Dagmar Tollwerth

 

 

 

Oft verweilten sie danach in der Stille der Nacht und unterhielten sich über ein Leben in Paris. Wenn sie sich nach ein paar Stunden Zweisamkeit wieder trennten, zerriss es sie. »Ach, Maurice. Endlich schlafe ich des Nachts ohne Albträume und erwache am Morgen mit einer Dankbarkeit für das Glücklichsein.« Ihre Hand streichelte die seine. »Mir geht es wie dir. In meinen Träumen küsse ich jeden Zentimeter deines Körpers. Du bist die schönste Frau, der ich je begegnet bin. Wenn du mich für mein Verhalten für verrückt erklärst, dann verstehe ich es. Aber in Wahrheit konnte ich nicht anders. Es schien mir schier unmöglich, dich nicht anzusprechen. Als ich zu dir ging, kam ich mir tölpelhaft und blöd vor. Aber du warst so zauberhaft und freundlich. Damit hattest du mir sofort meine Unsicherheit genommen. In deiner Gegenwart fühle ich mich unendlich wohl. Ich liebe und begehre dich. Ich bin ganz der deine, für immer.« Er sah sie an. Ihren Stimmungswechsel bemerkte er gleich.

     »Vor drei Jahren, als ich fünfzehn Jahre alt war, hatten meine Eltern beschlossen, dass ich Edmond heiraten solle. Er ist so viele Jahre älter als ich und von einer erschreckend abstoßenden Erscheinung. Ein Gedanke an seine Berührungen ist mir zuwider. Du hast ihn sicher schon einmal gesehen. Er reitet gelegentlich mit meinem Vater durch die Weinfelder.« Maurice erinnerte sich an Edmond. Er war ihm eines Nachmittags auf seinem Pferd aufgefallen.

     »Wenn ich ihn nicht heirate, so habe ich es am Rande mitbekommen, dann könnte mein Vater in Schwierigkeiten geraten.« Solange schüttelte heftig ihren Kopf. »Er verkauft mich regelrecht an einen zwanzig Jahre älteren Bräutigam.« Sie zitterte. »Ich dürfte mich ihm niemals verweigern.« Sie vergaß ihre guten Manieren und weinte herzzerreißend. Ihre Tränen tupfte sie mit einem Taschentuch trocken. »Was kann ich nur machen?« Maurice war zutiefst bewegt und hielt sie fest in den Armen. Es war für sie ein großer Konflikt.

     »Geh mit mir nach Paris.« Maurice sah ihr tief in die Augen. »Nächste Woche ist meine Arbeit als Erntehelfer getan.« Er zog zwei Fahrscheine für den Zug am kommenden Dienstag aus seiner Tasche. »Der Zug fährt in der Nacht nach Paris. Bitte, treffe mich um neun Uhr abends am Olivenbaum.«

     »Alle Welt weißt doch, dass mein Vater mich hier niemals weglassen würde.« Solange wusste keinen Ausweg. Ein Leben in Paris schien ihr unmöglich.

     »Wenn wir zusammen sein wollen, dann musst du mit mir kommen.« Er sah sie fordernd an. »Wir können uns nicht für den Rest unseres Lebens hier im Wald verstecken.« Er schüttelte den Kopf. »Außerdem werde ich dich nicht mit Edmond teilen. Es gibt keinen anderen Ausweg.«

     Solange nickte vorsichtig. »Ja, das mache ich Maurice. Ich gehe mit dir nach Paris, mein Liebster.« Maurice legte seine Hände um ihre Taille, zog sie an sich heran und küsste sie innig. »Morgen fahren Mutter und ich nach Bordeaux. Wir treffen Vater und Edmond, um gemeinsam ins Theater zu gehen.« sagte sie nachdenklich. »Welches Stück?« Fragte Maurice. ›Hamlet.‹

     »Ah, sein oder nicht sein.« Zitierte Maurice, um Solange die Niedergeschlagenheit zu nehmen. Er hasste den Gedanken, dass Edmond sich in Solanges Nähe aufhielt. »Kennst du das Stück?«, fragte Solange überrascht. »Ich habe es gelesen. Einen Theaterbesuch konnte ich mir nie leisten.« Große Eifersucht überkam ihn. Aber er biss sich auf die Zunge. »Es wird sicher ein netter Abend. Genieße das Stück in Gegenwart deiner Mutter.«

     Wieder nickte Solange. Sie wusste um die Erbarmungslosigkeit ihres Vaters. Er war für sie der gefährlichste Mann der Welt. Die mit dem Krieg gekommenen Schwierigkeiten ließen ihn noch härter werden. Mehr als einmal hatte sie mitbekommen, wie streng er sein Regime ausübte. Doch half es ihr nicht die grenzenlose Liebe zu Maurice zu verdrängen und Edmond zu heiraten. Wie sehr hasste sie es zu sehen, wie Edmond seinen stattlichen Schnurrbart zwirbelte. Er war sehr von sich eingenommen. Wie furchtbar. Ihn zu heiraten wäre das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte. Sie wusste instinktiv, dass es richtig sein würde, mit Maurice gen Norden zu fliehen. Ein letztes Mal fielen sie sich in die Arme. Maurice atmete ihren Duft tief ein. Beim Abschied ließ sie ihm ihr feines Taschentuch zurück. Es war an der Ecke mit einer Stickarbeit, ihren Initialen neben einer Traubenrebe, versehen. Nach einem sanften Winken verschwand sie in dem Wald. Aus der Ferne vernahm Maurice Hundegebell. Beunruhigt klaubte er seine Sachen zusammen und trat in den Wald. Er kletterte in eine Baumkrone. Von dort aus konnte er Solanges Vater und einige Aufseher mit Gewehren in der Hand sehen. Solange wurde von ihrem Vater auf sein Pferd hoch getragen und alle galoppierten davon.

     Maurice kam nicht zur Ruhe. Er lief zu den Unterkünften, trat an Filips Liege und weckte ihn. »Was ist los Maurice? Warum weckst du mich?«

     »Glaubst du, dass der Monsieur von meinen Treffen mit Solange weiß?« fragte er Filip. »Ich weiß es nicht. Aber die Männer hier reden darüber. Was ist denn passiert?« Filip rieb sich den Schlaf aus den Augen und setzte sich hin. »Sie haben Solange heute Nacht im Wald gesucht und eingefangen.« Maurice überlegte angestrengt. »Sie wissen es«, stellte er dann fest. »Maurice, hör mir zu. Du bist ein ehrenwerter Mann. Aber jetzt musst du verschwinden, sonst bringt er dich um.« Er sah ihn ernst an. »Du musst sie vergessen.« »Vergessen?« Maurice schüttelte den Kopf. »Niemals. Sie ist mein Engel, den mir Gott gesandt hat. Und ich soll sie vergessen? Das kann ich nicht. Ich lass sie nicht zurück.« In Maurices Kehle steckte ein Schreien. »Ich habe großes Glück gehabt, sie für mich gewinnen zu können.« Er versuchte sich beruhigen, damit er die anderen Männer nicht weckte. Das Bellen der Hunde ließ beide aufhorchen. Nun kamen sie in die Nähe der Arbeiterunterkünfte. „Du musst verschwinden. Raus hier.«, sagte Filip und stellte sich wieder schlafend.

     »Filip. Bring mir meine Sachen am Dienstag um neun Uhr abends an den Olivenbaum. Dort, wo ich immer zeichne. Ich werde dort warten.« Schnell sprang Maurice aus dem Fenster. Er rannte um sein Leben. Im Wald fand er eine Höhle, in der er sich verstecken konnte. Er war sich sicher, dass sie in töten würden, sollten sie ihn finden. Sein Schlaf war unruhig. Er schlief nur wenig und wenn doch, dann versteckt unter Ästen im Laub. Allerdings stets mit einem wachen Auge. Am Morgen ging er zum Fluss. In der Hocke ließ er das kristallklare Wasser über seine Hände und Arme laufen. Dann trank er etwas frisches Wasser aus seinen Händen.

     »Nehmen sie doch das hier.« Maurice erschrak. Hinter ihm stand Solanges Mutter, Catherine. Sie hielt ihm einen mit Wasser gefüllten Krug hin. »Sie müssen auf der Hut sein. Mein Mann und seine Männer suchen sie überall.« Sie stellte ein Kleiderbündel und einem Weidenkorb mit Brot, Käse und Schinken auf den Boden.

     »Vielen Dank Madame.« Maurice nahm einen großen Schluck.

     »Was ist mit Solange?«

     »Mein Mann hat sie eingesperrt. Sie kann das Haus nicht mehr verlassen.«

     Catherine schaute sich immer wieder nervös um. »Ich muss nun wieder zurück. Halten sie bis Dienstag durch. Es sind nur drei Nächte. Dann steigen sie bitte allein in den Zug nach Paris.« Sie drehte sich zum Gehen um. Maurice fragte sich, woher sie von dem Zug wusste. Den Gedanken verwarf er wieder. Er hatte in diesem Moment keine Zeit für solche Fragen. »Bitte warten Sie, Madame.« Maurice ging ihr hinterher. »Ich bitte Sie.« Er überlegte kurz, ob er sich für sein unverzeihliches Benehmen bei ihr entschuldigen sollte. Schließlich brachte er Solange große Probleme. Nur wie kann er sich für seine Gefühle entschuldigen, wenn sie sich so richtig anfühlen? »So sind hier die Regeln mein Junge. Solange ist nicht frei. Sie wird tun, was man ihr sagt.«

     Catherine ging ihm ein paar Schritte entgegen. »Hören Sie, mein Mann kann sehr boshaft und gewalttätig werden. Ersparen Sie sich und Solange diese leidvolle Erfahrung.« Dann ging sie fort.

 

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