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Leseprobe: Die vier Reiche: Die Legaten - Patrick R. Ullrich

 

 

   Freunde sollt ihr werden!

     Dann wird Moriane fortgewirbelt. Nur ein paar Augenblicke und ihre Sicht klärt sich wieder. Dieses Mal schwebt sie über dem Geschehen. Es ist Nacht. Unter ihr schreiende Menschen, die von einer aufgebrachten Menge durch die Straßen gehetzt werden, in das eiskalte Wasser eines Flusses hinein. Männer, Frauen und Kinder mit blaugefrorenen Lippen versuchen verzweifelt, ans Ufer zu kommen. Werden lachend zurückgedrängt, mit Steinen, Dreck und Hohn beworfen. Ein Mann hält ein kleines Mädchen an den Beinen kopfabwärts über das Geländer einer Brücke. Ihr schriller Schrei und ihre weit aufgerissenen Augen brennen sich in das träumende Bewusstsein der Magierin. Noch einmal hält der Mann die Kleine hoch, reckt die Arme und schwenkt triumphierend seine Beute. Dann löst er den Griff und das Mädchen stürzt dem kalten, schwarzen Wasser entgegen. Das Schicksal des Erfrierens, des Ertrinkens bleibt ihr erspart. Sie schlägt mit dem Kopf voran auf einen hervorragenden Söller, der die Brückenkonstruktion vor Treibgut schützen soll. Der abrupt abreissende Schrei lässt Morianes Herz kurz aussetzen. Oh Araas! Der kleine, leblose Körper treibt rasch davon und Morianes Sicht schwindet.

     Eine neue Szenerie verdichtet sich unter ihr. Flammen und wieder Schreie. Sie spürt Brandhitze. Der Feuerschein bricht sich tausendfach in Glasscherben, die ganze Abschnitte der Straße bedecken

     Eine kristallene Nacht! Wenn das Böse klug auftritt, geht es stets Hand in Hand mit der Schönheit, hatte Wenduul ihr erklärt, doch nie zuvor war ihr der Inhalt dieser Worte so deutlich geworden.

     Ein großes Gebäude steht in Flammen, die umliegenden Häuser werden mit Wasser vor Funkenschlag geschützt, nicht aber die tempelartige Anlage selbst. Unbewusst beginnt sie, zu den Flammen zu sprechen, will sie beruhigen, ihrer Macht unterwerfen. Aber sie ist nur Zuschauerin, unsichtbare, machtlose Zeugin, mehr nicht.

     Eine kleine Gruppe Menschen steht beisammen, fassungslos, fast betäubt wirkend. Johlend tragen ein paar junge Männer goldene Pokale, Platten und Kerzenleuchter davon. Plünderer, denkt Moriane angewidert.   

     Eine alte Frau tritt den Dieben schimpfend in den Weg. Sie fuchtelt mit den Armen. Man muss sie aus dem Bett und auf die Straße getrieben haben, denn sie trägt nur ein Nachthemd, das ihr der Wind an den dürren Körper drückt. Nur kurz zögern die jungen Männer und im Vorbeigehen schlägt ihr einer mit einem Kerzenständer den Schädel ein. Einen Moment lang noch steht sie aufrecht da, wie zum Trotz. Dann sackt sie im Straßengraben zusammen. Ihr Blut breitet sich grellrot auf dem weißen Stoff des Nachthemds aus, dampft unsichtbar auf dem nassen, schwarzen Pflaster.

     Das Bild wird von einem anderen abgelöst – Menschen werden zu Dutzenden aus mehrstöckigen Wohnhäusern getrieben. Während man sie auf großen, von Planen abgedeckten Wagen zusammendrängt, müssen sie zusehen, wie man ihren Besitz, ihre Möbel, den Schmuck, Bilder, Geschirr und Kleidung auf die Straße wirft. Wer aufbegehrt, hat Glück, mit dem Leben davonzukommen. Ein Mann taumelt an ihr vorüber. Er schreit nach jemandem, aber sie kann nichts verstehen. Sein Gesicht ist eine rote, breiige Masse, die Zähne ausgeschlagen. Weil er mit seinen zugeschwollenen, blutverklebten Augen nichts sieht, taumelt er in die falsche Richtung, verlässt die Reihe hinter dem Planwagen. Nur ein paar Schritte weit. Ein Braungekleideter tritt zu ihm, der erhobene Arm mit dem Knüppel saust herab und es klingt, als würde ein Brocken Butter zu Boden fallen.

Und durch all das hindurch sieht Moriane noch etwas:

     All die Misshandelten, Geschundenen und Gequälten scheint nichts zu einen. Es sind alte Männer, junge Frauen, Kinder, Arme und Wohlhabende. Nichts verbindet sie, nichts unterscheidet sie von jenen, die sie mit Hass verfolgen.

     Du wirst es nicht aufhalten!

hallt es vielstimmig in ihrem Kopf. Grausame Stimmen, heulend und vibrierend vor Wut. Jäh packt sie Angst und schlafend hält sie die Luft an. Kälte sticht mit tausend Nadeln in ihre Haut, es fröstelt sie unter der warmen Decke. Dann erfolgt der Zugriff. Mit unerhörter Macht und völliger Rücksichtslosigkeit drängt sich etwas in ihren Geist, wischt ihre mentalen Barrieren zur Seite, zertrümmert sie, wie ein wilder Sturm Holzbauten zerschlägt – und ihr Innerstes ist entblößt, liegt nackt und ungeschützt da, den Kräften, die sie umgeben wie schwarzer Rauch, hilflos ausgeliefert. Wer oder was vermag solches zu tun? Wenduul selbst lehrte sie das Errichten der mentalen Wehre und nun ist es, als sei sie nie unterrichtet worden.    Mit äußerster Anstrengung verschließt sie sich dem Ansturm, igelt sich ein, versucht dem Traum zu entkommen und gewinnt nach endlos empfundener Spanne die Oberhand.


Es, ... 

... das viele war, wand sich, quälte, verletzte, bekämpfte sich, krümmend,

gekrümmt, pressend, drängend, reißend, gepresst,

getrieben, gezerrt, stetig wuchernd,

dunkel pulsend. Lautlos durchzuckten Schreie des Zorns

und der Enttäuschung die ungehemmte Lust an der Qual,

die es in sich, an sich erzeugte. Gierig verschlang es die Stücke,

die es sich aus dem eigenen Leib riss,

unersättlich in seinem Unwillen und der mannigfachen, maßlosen Wut. 

Aufheulend in dem Schmerz, den es sich zufügte, 

stöhnend in der Lust, die es dabei empfand.

Neue Glieder wuchsen. In immer schnellerer Folge keimten sie aus dem wabernden Leib

und es schlug ab und zertrampelte, was es zu fassen bekam.

Noch war die Pein nicht groß genug, um den Rückschlag zu überdecken.

Mit langen Schnitten öffnete es seinen Körper und fuhr mit Krallen hinein,

in sich wühlend, denn der Wahnsinn war sein ältester und treuester Freund

und gemeinsam erreichten sie eine neue Ebene der Verbundenheit.


Ausnahmezustand

      »Keinen trifft Schuld. Weder an der Flucht Brandulfs noch an irgendetwas, das sich daraus ergab. Ich befreite euren Feind und brachte ihn zu den Seinen. Hadert nicht mit meiner Entscheidung, denn ich sage euch, ihr werdet erkennen, warum es geschah. Nun werdet ihr euch in die Welt begeben, in der mein Bruder unter den Menschen wandelte und ...« Hier hielt Araas einen Moment inne, ganz so, als hätte er, Gott und Schöpfersohn, eine Entscheidung zu treffen. Dann beendete er seinen Satz und Grauen bemächtigte sich aller in der Höhle: » ... in der sie ihn getötet haben. Ihr werdet das Böse wirken sehen; und es wird mächtig, groß und furchteinflößend sein und seine Wirkung unaufhaltsam scheinen. Doch bei alledem seid gewiss, dass ihr nicht gewählt wurdet, um zu scheitern, sondern um zu überwinden.«

     Schwer fielen die Worte des Gottes auf alle, die sie hörten, und besonders schwer auf jene, an die sie gerichtet waren. Aber dann sprach Araas zu jedem Einzelnen in der Höhle. Sprach zu Ork, Elf, Mensch und Zwerg. Für jeden hatte er ein Wort, er saß bei ihnen, berührte sie, hörte eine Bitte, mahnte, wo es der Mahnung bedurfte, und all dies geschah gleichzeitig, es war ermutigend, lehrreich oder tröstend, wie es einem jeden von ihnen entsprach. Nur das Zwiegespräch mit Moriane dauerte länger, auch wenn niemand sonst es bemerkte.

      Du hast Fragen, stellte der Gott fest und sie fühlte seinen Blick auf sich, und ich will dir Antwort geben, wenn es deinen freien Willen nicht gefährdet.

      Moriane hob den Kopf und was sie sah, war rein und klar, war Geist und Ursprung allen Sinns. Wie schwebend fühlte sie sich, umsorgt und behütet, frei von allem, was sie bedrängte, bar jeglicher Angst, getragen von Vertrauen und Zuversicht. Gerne hätte sie sich diesem Zustand einfach nur hingegeben. Gerne hätte sie ihn gehalten, ohne sich Fragen widmen zu müssen, die in diesem Augenblick ihre Bedeutung verloren zu haben schienen. Aber sie stand aufrecht vor ihrem Gott, dessen Blick sie nicht losließ.

     Was ist ES?, dachte sie schließlich und dann verschwand die Höhle um sie herum und sie fand sich auf dem Gipfel eines mächtigen Berges wieder und unter ihr rannten die Zeiten, entstanden Reiche, zerfielen wieder; und wohin sie blickte, konnte sie alles so deutlich erkennen, als fände es direkt vor ihren Augen statt. Imperien erblühten, gigantische Bauwerke erstanden und vergingen wie ihre Erbauer. Araas aber stand an ihrer Seite und begann zu sprechen:

     Die Kraft, das Böse, die heillose Macht, gegen die ihr antretet und die du Es nennst – es sind die alten Götter und ihr Zorn und ihr Hass kennen kein Maß. Einst, als der Schöpfer das Gewirk schuf, gab er den alten Göttern die Urgewalten und Naturkräfte zur Obhut. Und so geboten sie über das Land und das Meer, den Wind und die Wasser und über das Innere der Erde. Nur die Himmel öffnete er ihnen nicht. Lange taten sie gute Werke und formten die Welt nach ihrem Sinn, zur Freude ihrer Bewohner und zum Wohlgefallen des Schöpfers. In Zeitaltern des Lebens waren sieden Geschöpfen der Erde Freunde und Lehrer und wurden verehrt und geliebt. Doch dann gerieten sie in Streit darüber, wen die Menschen mehr achteten, und sie suchten sich gegenseitig zu übertreffen. Sogar die Angst zogen sie der Liebe vor, bot sie ihnen nur ein Mehr an Unterwerfung. So wurden aus Freunden Herrscher und wie die Götter wetteiferten auch die Menschen darum, Macht zu erlangen, und sie nährten die Zwietracht unter den Göttern, indem sie mal den einen, mal den anderen bevorzugten und ihm opferten, um seine Gunst zu erringen. Einigkeit herrschte unter den Alten nur darüber, dass sie sich dem Schöpfer ebenbürtig meinten. Lange ließ sie der Schöpfer gewähren und voller Hochmut forderten sie schließlich auch Einlass in die Himmelsgewebe. Da aber traf sie der Zorn des Einen und sie mussten seine Größe erkennen. Der Weltenwirker aber nahm sie und warf sie über die Grenzen der Schöpfung und der Zeit und verbannte sie aus allem, was entsteht und lebt, und er verfügte, dass kein Gott außer ihm mehr über die Erde wandle. Zu den Menschen aber sprach er: Ich bin der Herr, euer Gott und keine anderen Götter sollt ihr mehr neben mir haben, noch sollt ihr euch ihnen unterwerfen und ihnen zu Willen sein. Und weil sein Zorn groß war und er die Wankelmut der Menschenkinder, die mit dem Geschenk des freien Willens einherging, erkannt hatte, pflanzte er Furcht in ihre Herzen: Der, der tut, wie ich ihn heiße, wird meine Liebe erfahren und Tausende um ihn herum. Wer aber mein Feind ist, dessen Schuld wiegt schwer und ich verfolge sie bei seinen Kindern und Kindeskindern noch bis ins tausendste Glied.

     Moriane erschauerte bei einer solch gewaltigen Drohung und die Strafe erschien ihr hart. Zu hart, entschied sie für sich, und ungerecht überdies.

     Beurteile eine Geschichte nicht, bevor sie zu Ende ist, Moriane, denn diese Geschichte ist lang und hat viele Wendungen und nur einen Bruchteil davon wirst du heute erfahren, denn wissen sollst du nur, was zur Erfüllung deiner Aufgabe nötig ist.

     Keine noch so harte Strafe hält den Menschen auf Dauer von Verfehlung ab, wenn das Göttliche selbst aus seiner Welt schwindet. Viele folgten dem Gesetz des Schöpfers, aber es waren nicht wenige, die sich dagegen auflehnten, und die alten Götter spürten es und erstarkten. In ihrer Rachsucht und ihrer Wut gaben sie sogar ihre Einzelwesen auf und verschmolzen miteinander – sie wurden zu dem, das du ES nennst. Äußerlich ein Ganzes, sind sie innerlich zerrissen, denn der Wille jedes einzelnen Geistes zerrt an der gemeinsamen Form und ein verschlungener, vielgestaltiger und namenloser Wahnsinn ist über sie gekommen. So groß nun ihre Macht ist, so mächtig ist ihr Hass untereinander. In stetiger Selbstzerfleischung existieren sie und können sich doch nicht mehr lösen. Aneinander gebunden, verbraucht sich ein Großteil ihrer Kraft im endlosen Kampf des Es mit sich selbst und das Einzige, was sie erhält, ist das Leid jener, die zu beherrschen sie trachten. So, wie die Liebe seiner Geschöpfe den Weltenwirker erfreut, so nähren sie sich von allem Bösen, was auf Erden geschieht, und so ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, dem Licht und der Dunkelheit zugleich ein Kampf darum, ob die Mauern ihrer Verbannung halten.

     Dort oben, auf dem Gipfel, wandte sie sich zu Araas, trat einen Schritt auf ihn zu. Ganz leise flüsternd stellte sie die Frage, die sie doch am liebsten im tiefsten Grund ihres Bewusstseins verscharrt hätte, um sie für immer zu vergessen.

      Was geschieht, Araas, wenn die Mauern fallen?

     Sie hielt die Luft an, während sie wartete, denn sie ahnte und fürchtete die Antwort. Wie ein Klumpen kalten Eisens saß die Angst in ihrem Magen, ihr Mund war trocken und die Kehle wie zugeschnürt, als sie seine Stimme vernahm.

     Dann werden sie wiederkehren und nichts wird mehr sein, wie es war. Nur Qual lindert ihr Begehren und stärkt sie; und Qual wird von da ab das Los aller Kreaturen sein, solange das Gewirk besteht. Das ist alles, was du heute wissen musst, und deshalb wirst du nicht mehr erfahren, Moriane, die sie die Lichtwirkerin nennen.

     Aber wenn sie dort selbst einen Gott töteten, einen Schöpfersohn, Deinen Bruder, begehrte sie auf und das war nicht wenig, wie könnte ich, wie könnten wir etwas ausrichten, Araas? Warum müssen wir mit Göttern streiten.

     Sie haben ihn nicht gegen seinen Willen getötet. Und – nein, du wirst mich nicht weiter fragen, denn frei sollst du, frei sollt ihr alle sein. Wenn ihr, die ihr ausgewählt wurdet, nicht die Zukunft gestaltet nach eurem Willen und dem Willen des Schöpfers – wer sollte es dann vermögen? Nun komm und sieh, was Wahl und Wille bedeuten, Moriane.

 

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