››Deichschatten‹‹ von Eva-Maria Silber ist ein äußerst informativer, spannender und atmosphärisch dichter Kriminalroman, der durch seine komplexe Handlung und psychologische Tiefe besticht. Der Roman entfaltet sich in zwei fesselnden Handlungssträngen: Zum einen erschüttert eine verheerende Explosion dreier Erdgastavernen die Region, bedroht Umwelt und Menschen und verändert das Lebensumfeld unwiderruflich. Parallel dazu läuft eine dramatische Suche nach einem neugeborenen Mädchen im Katastrophengebiet – in dem Glauben, dass die Mutter ihr Kind töten könnte.
Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, da sie mit der Evakuierung der Bevölkerung zusammenfallen und es nur eine vage Beschreibung der Mutter gibt, deren Identität unbekannt bleibt. Die Haupt- und Nebenfiguren sind außergewöhnlich vielschichtig und geprägt von starken Minderwertigkeitskomplexen, die sie auf ganz unterschiedliche Weise zu kompensieren versuchen. Diese psychologischen Facetten verleihen der Handlung große Authentizität und sorgen dafür, dass es immer wieder zu unvorhergesehenen Zwischenfällen kommt, die die Ermittlungen erschweren. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, doch letztlich arbeiten alle Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel hin.
Besonders hervorzuheben ist die Figur der sympathischen Staatsanwältin Leyla Zapatka, die wie die Autorin selbst an hochgradiger Schwerhörigkeit leidet. Dieser Aspekt wird sensibel und eindringlich thematisiert, etwa in dem Satz: »Wer nicht sieht, verliert die Dinge, wer nicht hört, die Menschen.« Solche Passagen verleihen dem Buch eine besondere emotionale Tiefe.
Auch inhaltlich überzeugt der Roman: Der Begriff Neonatizid – die Tötung von Neugeborenen – wird nicht nur erklärt, sondern auch in seinen psychologischen und gesellschaftlichen Hintergründen beleuchtet. Die Autorin beantwortet durch die Figur des Dr. Winterstein eindrucksvoll die Frage, warum es trotz Babyklappe, Adoptionsfreigabe und anonymer Geburt immer wieder zu solchen Taten kommt. Besonders erschütternd ist die Erkenntnis, dass Neonatizide häufig auf posttraumatische Belastungsstörungen in der Kindheit und Jugend zurückzuführen sind und lange Zeit unerkannt bleiben. Gesellschaftskritische und informative Einbindung
Um die Schwere der Thematik aufzulockern, streut Eva-Maria Silber humorvolle Nebenhandlungen ein. So sorgt etwa eine Szene, in der sich zwei Frauen auf offener Straße ein lautstarkes Wortgefecht und einen handfesten Wrestlingkampf liefern, für Erheiterung und einen gelungenen Kontrast zu den ernsten Themen.
Der Schreibstil der Autorin ist flüssig, lebendig und fesselnd. Der Spannungsbogen steigt kontinuierlich an und hält die Leserschaft bis zur letzten Seite in Atem. Erst am Ende erfährt man, ob das Neugeborene gerettet werden kann, und es werden weitere tragische Hintergründe aufgedeckt. Die beiden Handlungsstränge sind hervorragend miteinander verwoben, die Charaktere wirken ausgereift und authentisch – insgesamt ein Krimi, der bestes Kopfkino garantiert.
Ich empfehle DEICHSCHATTEN von Eva-Maria Silber uneingeschränkt weiter – ein Kriminalroman, der nicht nur spannend und wissensvermittelnd unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt.
Heidelinde Penndorf
(Mai 2025)
Klick zum Kauf des Taschenbuchs