Tabun – eigentlich als Insektizid auf Basis organischer Phosphorverbindungen entwickelt, aber zu toxisch, um es in der Landwirtschaft anzuwenden, wurde umfunktioniert zu einem der giftigsten und tödlichsten Nervengase der Welt, hergestellt im Jahr 1936 in Nazideutschland. Ein chemischer Overkill – der Gott sei Dank im dunkelsten Kapitel der Geschichte unseres Landes nie zum Einsatz kam.
Und genau dieses hochtoxische Nervengift Tabun hat Michael Paul in den Mittelpunkt seines gleichnamigen Romans gestellt. Ein packender, fesselnder auf Hintergrundwissen und Tatsachen beruhender Öko-Politikthriller, mit fiktionalem Einschlag, der es in sich hat. Er zeigt auf, dass wir auf der größten Zeitbombe und den größten Umweltskandal der Nachkriegszeit sitzen und kaum einer weiß es, kaum einer schreibt und spricht darüber. Immerhin wurden u.a. etwa 12.000 Tonnen Tabun hergestellt und verarbeitet. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Unmengen an Munition, so auch die mit Tabun befüllten Bomben und Granaten in der Ostsee versenkt. Sie sind also weg, nicht mehr sichtbar!
Im Buch ist auch zu lesen, dass der Fischbestand durch dieses Toxin immer mehr geschädigt wird, dass wir diesen Fisch essen, der vielleicht verseucht ist, dass manche Fischer beim Fischfang durch die chemischen Gifte in Lebensgefahr geraten sind und es immer wieder passiert und Politik schweigt und unternimmt nichts! Und Fische wohlgemerkt, kennen keine Ländergrenzen.
Totgeschwiegen wird auch, dass der begonnene Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee deshalb auch eine immense Gefahr darstellt. Genauso, dass viele Bernsteinfunde gar kein Bernstein, sondern weißer Phosphor sind, der von der tonnenweisen phosphorhaltigen Munition in Nord- und Ostsee stammt, die damals im Meer verklappt wurde und immer öfter an die Oberfläche und den Strand gespült wird. Davor warnen die Kurverwaltungen eher verhalten, weil er zu Selbstentzündungen führen kann – doch Politik schweigt auch hier.
Dass nicht der ganze tödliche Giftstoff in der Ostsee landete, ist in der Handlung des Buchs eine Fiktion, liegt aber vielleicht nahe bei der Wahrheit, wie ich bei meiner Recherche zum Buchinhalt feststellte. Denn 2009 fand man in Wittenberge, ein völlig verrostetes Fass, aus dem Gas austrat. Ein Test ergab, dass eine wichtige Eigenschaft auf Tabun hinwies und man musste es mit einem Spezialkommando entsorgen.
Was würde passieren, wenn solche Funde in die Hände jener Menschen gelangen würden, die es benutzen wollen, um damit ihre abstrusen Visionen, ihre Gier und Machtgelüste durchzusetzen? Im Buch begegnen wir einem hochintelligenten Antagonisten, der genau dies vorhat! Ihm in den Weg stellt sich die ehemals gefürchtetste Oberstaatsanwältin Deutschlands, Katharina König. Sie übt ihren Beruf nicht mehr aus, seit sie durch ein Attentat erblindet ist. Ihr zur Seite gestellt wurde der etwas verwuschelter Assistent und Jazzmusiker Elias, welcher in schwierigen Situationen über sich hinauswächst. Beide sollen da genauer hinsehen, wo Politik, Justiz und Polizei scheinbar wegschauen.
Michael Paul wollte es genau wissen, wie man sich fühlt, was man wahrnimmt und wie man zurechtkommt, wenn man nicht sehen kann. Er wagt das Experiment und macht sich für eine Woche sozusagen blind, um im Roman die Authentizität einer blinden Ermittlerin rüber zu bringen, sogar eine Trainerin hat er dafür organisiert. Und der Autor hat viel gelernt in dieser kurzen Zeit und es im Buch gut umgesetzt, denn die Hauptprotagonistin kommt absolut charismatisch und glaubwürdig rüber. Sie findet sich gut zurecht, denn durch ihre Blindheit hat sie ihre anderen Sinne geschärft und kaum einer merkt ihr an, dass sie blind ist. Sie ist immer tadellos frisiert, geschminkt und geschmackvoll gekleidet. Im Laufe der Ermittlung erstaunt ihr Assistent immer wieder, wie aufmerksam, konzentriert und aufnahmefähig Katharina König Umwelteindrücke wahrnimmt und verarbeitet. Einige wichtige Tatsachen wären ihm ohne ihre geschulten Fähigkeiten gar nicht aufgefallen.
Spannend und fesselnd kommt die Story rüber. Der Autor legt sogar noch mal nach und die Spannung erreicht ein hohes Level, als die ehemalige Staatsanwältin dem Mann gegenübersteht, der für ihre Blindheit verantwortlich ist. Dann überschlagen sich die Ereignisse, nehmen einen überraschenden dramatischen Verlauf. Den Lesern wird ein Endzeitszenario vor Augen geführt – aufreibend, beklemmend, aktionsreich und fesselnd bis zum Ende.
Ich hatte bis dato auch keine Ahnung, welch Damoklesschwert über uns schwebt und Danke dem Autor für das Wissen, was er vermittelt und das noch so gut gekonnt und interessant, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann, bis die letzte Seite gelesen ist.
Meine Meinung im Besonderen: Bevor wir alle anderen Umweltprobleme, die wir durchaus haben, angehen, sollte dieses in den Meeren gelöst werden, da es uns sonst einmal um die Ohren fliegt – eine tickende Zeitbombe in der Ostsee, die jederzeit explodieren könnte, mit schwerwiegendsten Folgen für uns und unsere Erde.
Das Buch hat meine absolute Leseempfehlung, lesen Sie es unbedingt! Die Protagonisten und Antagonisten sind sehr lebendig und charismatisch, die Story ist so spannungsgeladen, dass einem fast die Luft wegbleibt.
Heidelinde Penndorf
(06.05.2019)
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