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Leseprobe: Arena des Satans: Die Edelhure - Erotischer Kurz-Thriller - Sidney Rose

            

 

    Erlesen unanständig

     »Zieh dich an und verschwinde!«, schleudert mir Oliver entgegen.

     »So kann ich nicht raus. Ich muss ins Bad«, entgegne ich.

     Er winkt nur und ich eile in den kleinen, marmorglänzenden Raum. Auf der Toilette presse ich Williams Gaben heraus, so gut ich es nur schaffe, und wasche mein vollgespritztes Gesicht. Die Strumpfhosen sind hin, der Rock ist eingerissen. Zum Glück verdeckt der Mantel die Beschädigungen. Auf einem gläsernen Regal liegt ein Stapel Pappkärtchen: »William Shore & Oliver Smith Garment Ltd.« Die Adresse steht auch darauf. Ich stecke eines davon in die Tasche und gehe zurück ins Zimmer.

     William steht bereits an der Tür. Er will mich grob hinausbefördern. Ich bleibe stehen.

     »Auch Engländer müssen bezahlen, wenn sie meine Dienste in Anspruch nehmen«, spreche ich mit fester Stimme und blicke ihnen in die Augen.

     »Wir haben dich bezahlt, Hure, einhundert Dollar sind genug!«

       Ich verschränke die Arme.

     »Das war die Hälfte. Außerdem bekomme ich noch mal fünfzig Dollar für die zerrissenen Sachen!«

      William drückt die Klinke herunter. Ich bleibe im Türrahmen stehen.

     »Wenn ich nicht sofort das Geld bekomme, schreie ich und dann telegrafiere ich einen hübschen Text an eure biedere Firma in England. Schöne Adresskärtchen übrigens ...«

     Wutentbrannt kramt William einhundertfünfzig Dollar aus seinem Sakko, wirft das Geld auf den Gang und schlägt hinter mir die Türe zu, dass mich der Luftzug trifft wie eine Sturmböe. Warum müssen die Kerle nur immer solche Schweine sein?

 


Madame Janine

     Ich stürme durch die Lobby und nehme mir noch nicht einmal die Zeit, den Mantel zu schließen: raus hier, nur weg! Der Typ im Empfang winkt mich heran, ich laufe weiter, höre Schritte hinter mir und springe in das erste Taxi, das direkt vor dem Eingang parkt. Der Fahrer begreift sofort, was hier abgeht, und startet den Wagen. Das war knapp. Im Majestic werde ich mich nie mehr blicken lassen können – für lumpige zweihundertfünfzig Dollar!

     »Wohin, 43. Straße?«, fragt der Fahrer.

     »Ja«, antworte ich schwach.

     Im Gegensatz zu den Hotelgästen hat er mir sofort angesehen, wo ich hingehöre. Ich will dort aber nicht hingehören, ich will raus aus all dem Schmutz und ein normales Leben führen! Dafür hab ich nicht mein Paris verlassen! Als ich das Taxi bezahlen will, lehnt der Boy ab.

     »Verflucht, Lady, kommen Sie erstmal wieder zu sich, alles Gute!«

     Er fährt los und ich bin geschockt, von einem Mann zuvorkommend und freundlich behandelt worden zu sein. Jetzt ist mir kalt, ich raffe den Pelz zusammen, es ist nicht mehr weit bis in meine elende Absteige. Hier stehen überall die Nutten an jeder Straßenecke. Zuerst hatte auch ich versucht, mein Glück in diesem Quartier zu machen. Aber die Reviere waren abgesteckt und als ›Selbständige‹ hatte ich nur Feinde. Also überlegte ich mir die Strategie mit der Oper, nutzte meine Bildung, meinen Esprit, meinen Charme, um an die vermögende Kundschaft heranzukommen. Dennoch reicht mein Geld nicht, dem Tenderloin endlich den Rücken zu kehren.

     »Verdammtes Miststück«, brüllt eine widerwärtige Stimme.

     Ich bekomme einen harten Schlag in die Kniekehlen und breche augenblicklich zusammen. Als ich aufschaue, saust der Gummiknüppel mit voller Wucht über mein Gesicht. Durch das herabströmende Blut über meine Augen erkenne ich wie durch einen roten Vorhang Clubber-Chuck, einen der übelsten, korruptesten Cops im Revier.

     »Wenn Sie mich so zurichten, dann kann ich nicht mehr arbeiten«, schreie ich mit zitternder Stimme.

    »Du brauchst auch nicht mehr zu arbeiten, wenn du dich von Kundschaft in Upper East ficken lässt und meinen Anteil unterschlägst, du Betrügerin!«

     Er holt erneut aus. Schützend halte ich die Hände über den Kopf und der Schlag trifft meinen Rücken. Ich habe das Gefühl, die Wirbel würden auseinanderbersten und schreie vor Schmerzen. Dieser Clubber-Chuck trägt seinen Namen nicht zu Unrecht, denn er ist für seine äußerste Brutalität bekannt, weil er einem kräftigen Manne mit einem Hieb seines Knüppels das Kreuz gebrochen hatte. Sein Opfer war auf der Stelle tot und Chuck wurde als Held gefeiert. Das ist Tenderloin – die Hölle auf Erden!

     Den Namen des größten Prostituiertenviertels New Yorks, ja ganz Amerikas, hatte man einem anderen Schläger der Polizei zu verdanken, der vor vielen Jahren dieses Gebiet als ›Filetstück‹ bezeichnete und sich dabei wahnsinnig komisch vorkam. Ich liege auf der Straße, halte meine Wunden und sehe, wie ich den unschuldigen Schnee ringsum mit Blut bedecke. Chuck durchsucht meine Handtasche, oder besser gesagt: Er kippt den Inhalt rücksichtslos aus, nimmt mein gesamtes Geld und zertrampelt den Rest mit seinen schweren Stiefeln, Lippenstifte, Schminkspiegel und meinen kleinen Talisman, einen zierlichen Silberring.

     »Ich gebe dir einen guten Rat: Verpiss dich oder halte dich an die Regeln, Hure. Ansonsten bist du tot, wenn ich dich noch ein Mal hier erwische!«

     Er tritt mir zum Abschied in die Rippen. Ich heule auf vor Schmerz. Wenn er mir was gebrochen hat – ich habe kein Geld für einen Doktor. Die Qualen überwältigen mich, ich verspüre den starken Wunsch zu sterben und sinke in den Schnee.

***

     Ich bin in Paris. Alles ist von einem übernatürlichen Licht durchflutet. Meine Eltern stehen am Fenster und auch mein Geliebter ist da – André. Sie schauen hinaus zum hellen Schein, wo doch keine Sonne zu erkennen ist. Ich nähere mich ihnen vorsichtig, flüstere ihre Namen. Mit einem Mal drehen sie sich um und ich starre entsetzt in ihre schwarzen, zerfressenen Gesichter.

     Mit einem panischen Schrei werde ich wach. Mein ganzer Körper schmerzt und ich betrachte ängstlich meine Arme, ob ich dort Flecken hätte.

     »Was hast du, Süße, es kommt alles in Ordnung mit dir«, spricht eine samtweiche Stimme.

     »Nein, ich habe die Pest! Alle hatten die Pest! Es war Gottes Strafe für unsere Sünden und hier wird die Seuche als nächstes zuschlagen!«

     Eine schöne, blonde Frau mit anmutigen Gesichtszügen drückt mich an ihre Brust.

     »Ninette, hier gibt es keine Pest. Und falls die Seuche doch eines Tages zu uns kommen sollte, dann trifft es von einhundert Menschen neunzig, die es nicht anders verdient haben.«

     »Wo bin ich?«

      Die Frau lacht.

     »Du bist noch immer in der Hölle, aber ich würde es eher als Vorhölle bezeichnen, vielleicht sogar als Läuterungsberg«, antwortet die Blonde.

    »Du sprichst in Rätseln, wer bist du?«

     Sanft bettet die Frau meinen Kopf auf ein weiches Kissen.

     »Ich bin Madame Janine, mir gehört das schönste brothel von Tenderloin und hätte auch ich dich im Schnee liegen gelassen wie all die anderen, dann wärst du vor einigen Nächten gestorben.«

     In meinem schmerzenden Kopf ertönt das Vorspiel zum ›Parsifal‹ und ich seufze sehnsüchtig:

     »Wie gerne wäre ich doch tot!«

     Janine erhebt den Zeigefinger.

     »Sei nicht dumm, Kleines, wir sterben alle früh genug. Doch bis dahin heißt es überleben. Dieser Clubber-Chuck hat dich in sein kaltes Herz geschlossen und alleine würdest du den nächsten Sonnenaufgang nicht erleben. Du hast zwei Möglichkeiten«, erklärt mir die Frau in einer Ruhe, die mich sonderbar fasziniert.

     »Verrate sie mir«, bitte ich.

     »Du verschwindest aus diesem Stadtteil oder am besten ganz aus Manhattan. Hast du irgendjemanden, zu dem du gehen kannst?«

     Ich senke den Kopf .

     »Nein, ich habe alle verloren.«

     Janine streicht über mein Haar.

    »Dann darfst du bei mir bleiben und für mich arbeiten. Ich habe dich schon seit einer Weile beobachtet und ich bewundere dein Talent. Du wirst es nicht bereuen, in meine Dienste zu treten. Das verspreche ich dir von Frau zu Frau.«

       Ich drehe mich vorsichtig herum, schnelle jedoch sofort wieder in die Rückenlage, als es in meinen Rippen einen schmerzhaften Stich gibt.

     »Süße, dieses Schwein hat dir eine Rippe gebrochen. Zum Glück sind keine Organe verletzt und es heilt von selbst wieder zusammen. Dein Gesicht hat ein wahrer Meister zusammengeflickt, der schon Schlimmeres wieder hinbekommen hat. Trotzdem würde ich an deiner Stelle erst in ein paar Wochen in den Spiegel schauen.«

     Vorsichtig fahre ich mit den Händen über meine Wangen, die Nase und die Stirn. Überall spüre ich Nähte und beginne, verzweifelt zu weinen.

     »Wieso sollte ich bei dir sicher sein? Warum haut mich dieser Officer nicht in Stücke, sobald ich auf die Straße heraustrete?«

     Janine lächelt verschlagen.

     »Weil ich einen Pakt mit einem noch viel schlimmeren Satan als diesem Cop habe. Ich zahle jede Woche meinen Anteil an Tammany und die korrupten Kerle lassen uns in Ruhe. Wenn sie meine Mädchen auch nur anrühren, werden sie binnen weniger Stunden in Stücke gerissen. Glaub mir, sie haben es ein Mal probiert und es hat ihnen gereicht.«

     Sehr schnell hatte ich als Einwanderin in New York gelernt, dass hier eine wahre Maschinerie aus Politik, Korruption und Verbrechen regiert, die jeden Einzelnen kontrolliert und sich an allem bereichert: Tammany. Sie haben nicht nur die komplette Polizei gekauft, sondern auch Staatsanwälte, Richter und Politiker. Wer nicht zahlt, wird ausgelöscht, als hätte er niemals existiert. Wer vor Gericht geht, wird vom Opfer zum Schuldigen, ins dunkelste Gefängnis gesperrt und zu Tode gequält. Diesem monströsen System muss auch der mächtigste Gangster seinen Tribut zollen.

     Wer jedoch bezahlt, sich nicht auflehnt und wiederum andere für seine Sicherheit sorgen lässt, kann wenigstens unter diesen Bedingungen ein Leben ohne ständige Angst um Leib und Leben führen. Alleine war ich zu schwach, den Anfeindungen der anderen Huren und obendrein der Willkür der Cops zu widerstehen, die mich als Außenseiterin schon längst im Auge hatten. Auch ohne meinen Abstecher nach Upper East wäre ich fällig gewesen.

     »In Ordnung, ich werde für dich arbeiten, Janine«, erwidere ich mit der größten Anstrengung, meine Stimme nicht zu sehr zittern zu lassen.

     Ein versöhnliches Lächeln legt sich über ihr Gesicht.

     »Jetzt ruhe dich aus, werde gesund und dann kannst du ein neues Leben beginnen.«

     Die blonde Frau streicht mir noch einmal das schweißnasse Haar aus der Stirn, erhebt sich von meinem Bett und geht hinaus.

 ***

     Wenn ich wach bin, höre ich die Lustschreie der Huren und das Gestöhne der Kerle. Trotzdem fühle ich mich täglich besser. Ich lasse mir Zeitungen bringen und lese, was sich in dieser verrückten Stadt täglich ereignet, während ich selbst keinen Fuß vor die Türe setze. Je besser es mir geht, desto genauer beobachte ich alle Vorgänge im Haus. Dieses brothel muss eine Goldgrube sein, denn die Mädchen arbeiten sechzehn Stunden am Tag und haben in dieser Zeit über zwanzig Freier. Sie verdienen bei Janine drei Dollar pro Fick, die Hälfte ihres Preises. Janine sorgt für ihre Mädchen, sie bekommen gutes Essen, Kleidung, ausreichend zu trinken, haben zwar ein kleines, jedoch sauberes Zimmer für sich allein und werden regelmäßig von einem Doktor untersucht und behandelt. Grobe Freier fliegen raus, bekommen Hausverbot und auf den Straßen brauchen die Frauen keine Angst vor der NYPD zu haben. Im Vergleich zu anderen Häusern sind das nahezu paradiesische Zustände.

     Dennoch wird mir schlecht, wenn ich daran denke, dass ich nun ebenfalls mit knapp einhundertfünfzig Männern pro Woche schlafen soll und dafür gerade einmal vierhunderundfünfzig Dollar bekomme. Mein Körper würde zerbrechen, ich wäre in ein paar Monaten am Ende. Sollte das mein Schicksal sein, dann werde ich aus dem Fenster des obersten Stockwerks springen oder mir die Kehle mit einem zerschlagenen Spiegel aufschlitzen. Niemand wird mich zwingen können, auf diese erniedrigende Art und Weise dahinzusiechen.

     Das würde mir tausendfach mehr Schmerzen bereiten, als das langwierige Ziehen der Fäden aus meinem zusammengenähten Gesicht. Der Doktor fixiert mich die ganze Zeit über mit einem väterlichen Lächeln, geht besonnen seinem blutigen Handwerk nach, während mir dicke Tränen in die Wunden stürzen.

     »Du siehst aus wie neugeboren!«, säuselt Janine, die sich unbemerkt in meine Kammer geschlichen hat.

     Die Sonne breitet einen Strahlenteppich vor ihren Füßen aus, auf dem sie langsam an mein Bett kommt. Ich drehe mich zur Seite, es tut nicht mehr weh. Ich erschrecke, denn die blonde Frau ist vollkommen nackt. Mit bewundernden Blicken verweile ich auf ihren makellosen, schlanken Formen. Da sie die Älteste im Hause ist, muss sie wenigstens an die fünfunddreißig Jahre zählen, aber ihr Leib gleicht dem eines jungen Mädchens. Nein, eher dem durchscheinenden Alabasterkörper einer Elfe aus dem Märchen.

     »Es freut mich, dass deine Wunden so gut heilen, Ninette. Nun können wir uns endlich richtig miteinander bekannt machen«, spricht sie mit glockenheller Stimme.

     Behutsam zieht Janine die Bettdecke von mir. Ich lasse die Arme neben meinem bloßen Leib liegen und rühre mich nicht. Die reife Frau schaut mich lächelnd an.

     »Du bist einmalig schön, Ninette. Es ist eine Schande, dass dich so viele Männer entehrt und beschmutzt haben. Lass es mich wieder gutmachen!«

***

     Dann lässt sie von mir ab, küsst wild meinen Mund und schaut mir tief in die Augen.

     »Das war einmalig, meine Süße. Ich werde dich zu einer Edel-Hure machen. Es wäre sträflich, deine Talente im Massenbetrieb mit hunderten Kerlen zu vergeuden. Du wirst gutes Geld verdienen.«

     Noch benommen von unserem erregenden Spiel fühlte ich mich erleichtert, das harte Schicksal der anderen Frauen nicht teilen zu müssen.

     »Schau dich an, du bist jetzt beinahe vollkommen wiederhergestellt und ich werde es niemals zulassen, dass dir irgendwer nochmals derartiges Leid zufügt!«

     Mit diesen Worten schreitet sie zu einem verhangenen, körperhohen Spiegel und lässt mit einem Ruck das darübergehängte Tuch zu Boden fallen. Janine streckt einen Arm nach mir aus, zögernd verlasse ich das Bett und stelle mich neben sie. Es ist ein überraschender, unwirklicher Anblick. Unsere nackten Leiber blenden mir weiß und wundervoll aus dem Kristallglas entgegen: die schlanke Janine und ich daneben mit meinen breiten Hüften und den handflächengroßen, hängenden Brüsten.

     »Lass uns diesen Moment fest in unsere Herzen brennen, Ninette. Für dich beginnt nun ein neues Leben.«

     Zärtlich streichelt sie mein Gesicht, fährt über Stirn und Wangen, auf denen helle, schmale Streifen von meinen schlimmen Verletzungen künden. Ich erschrecke, denn mein Gesicht erscheint mir wie aus mehreren Stücken zusammengesetzt.

       »Sorge dich nicht. Die Narben verblassen mit jedem Tage, bis sie vielleicht irgendwann vollständig verheilt sein werden.«

     Sie tröstet mich, bedeckt die Wundmale mit zahlreichen Küssen, wendet sich ab und fordert mich auf, vor dem Spiegel stehenzubleiben.

      »Süße, du sollst auch deine genialen Feldzüge in der Oper wieder aufnehmen. Dafür schenke ich dir etwas sehr Wichtiges«

     Noch ehe ich darüber nachdenken kann, was sie wohl meint, wirft mir Janine von hinten einen üppigen, dicken Blaufuchsmantel über die Schultern, der in allen erdenklichen Weißschattierungen reflektiert. Sie umarmt mich, drückt mir den großen Kragen gegen Ohr und Wange und streichelt mich energisch mit dem weichen Pelz.

     »Aber Janine, das kann ich nicht annehmen. Du hast mich schon vom Doktor behandeln, hier wohnen und essen lassen, ohne bisher auch nur einen Cent zu verlangen. Jetzt machst du mir obendrein so ein teures Geschenk«, protestiere ich schwach.

     »Das sind Investitionen, Ninette – in dich! All diese Kosten wirst du in ein paar Wochen wieder eingespielt haben. Davon bin ich überzeugt«, haucht sie und reibt ihren nackten Leib am Mantelrücken.

     Ich stöhne, fasse fest ihre Hand, die sie mir über die Schulter reicht, und spüre eine wahnsinnige Erregung in mir aufsteigen. Janine schiebt mich zum Bett, stößt mich mit Nachdruck auf die Matratze und wirft sich mit dem Kopf zwischen meine Oberschenkel. Ich drücke den kostbaren, flauschigen Saum des Mantels gegen sie, streichle ihr Gesicht und die Schultern. Schließlich decke ich den Pelz über Janine, sinke zurück und empfange sehnsüchtig ihre ungestümen Zärtlichkeiten, während fremdes Lustgeschrei aus den Nebenzimmern an meine Ohren dringt.


Die Edelhure

     Schüchtern blinzelt die frühe Märzsonne in die Häuserschlucht der Sixth Avenue. Der New Yorker Winter hat noch immer Dächer, Straßen und Bäume in Weiß gehüllt und auch ich dürfte wie eine zarte Schneeflocke erscheinen, als mich der Taxifahrer vor der Metropolitan Opera aussteigen lässt. Selbstverständlich könnte ich problemlos die Viertelstunde Fußweg auf mich nehmen, die Madame Janines brothel entfernt von hier liegt, aber ich fange heute vollkommen neu an. Dazu gehört, dass mein Auftritt mondän wirken soll. Zugegeben, wäre es weitaus beeindruckender, wenn ich das bestrumpfte Bein aus einem Royce strecken könnte, während ich den üppigen Saum meines Pelzmantels gefährlich weit nach oben rutschen ließe. Bis ich mir einen Chauffeur mit so einem Luxuswagen leisten kann, muss auch ein Taxi genügen. Immerhin ist es besser, als wie die meisten anderen mit verfrorenem Gesicht im festgetretenen Schnee entlangzustöckeln.

     Anfangs zitterten meine Knie, als ich nach einem Monat Genesungszeit wieder zum ersten Mal auf die Straße trat. Ich wurde angestarrt wie eine aus dem Totenreich Auferstandene und im gewissen Sinne war ich das auch. Kaum getraute ich mich, meine Blicke schweifen zu lassen, denn bei allem, was wie eine NYPD-Uniform aussah, befürchtete ich, augenblicklich tot umfallen zu müssen.

     Das Gesicht habe ich mir sorgfältig weiß geschminkt und die dunklen smokey eyes und der knallrote Mund lenken hoffentlich wirkungsvoll davon ab, die noch erkennbaren Narben wahrzunehmen. Janine wird nicht müde, mir täglich zu versichern, dass ich wunderschön sei. Dennoch weine ich heimlich, wenn ich allein bin, und streiche über die Wundmale, die mich sicher ewig an den schrecklichen Angriff des korrupten Cops erinnern werden.

     Der Herr an der Kasse und auch der Platzanweiser zeigen sich erfreut, mich nach meiner Zwangspause wiederzusehen.

     »Wie geht es Ihnen, Madame Soubon? Ich habe Sie schmerzlich vermisst!«

    Ich schenke ihnen ein Lächeln, gebe vor, eine schwere Influenza gehabt zu haben, und betrete den gewaltigen Saal. Das ist wahrlich ein Tempel, in dem ich mich wie eine Aussätzige, eine Sünderin fühle. Aber wer würde den Anspruch erheben, dass es zwingend ein christlicher Tempel, ein Heiligtum sein sollte? In der Stadt gibt es Dutzende von Religionen. Doch hier ›gilt‘s der Kunst‹, wie mir ein Zitat meines von mir verehrten Komponisten in den Sinn kommt. Ich liebe die Oper. Was wäre ein Stück ohne Sünderin? Während auf der Bühne eine Kundry ihren verhängnisvollen Zauber verbreitet, sündige ich im verborgenen Dunkel der Logen und sorge für einen zweifachen Genuss, einer geglückten Inszenierung beizuwohnen.

     Ich trage meinen kostbaren Pelz über dem Arm, gleite mit den angeregt schwatzenden Besuchern durch die Gänge, bis ich zu meinem Stammplatz gelange. Als wäre der Spielplan nach meinem Befinden ausgerichtet worden, beginnt heute Abend ein vollständiger Wagner-Zyklus! Nachdem die Lichter gelöscht und der gewaltige Vorhang gehoben wurde, stimmen die in Unsichtbarkeit versenkten Musiker das Vorspiel an. Gebannt verfolge ich den übermütig-sinnlichen Reigen der Fluss-Töchter, der durch den tollpatschig-grimmigen Alberich in ihrer Mitte umso graziler wirkt. Die Töne umgeben mich nicht nur, sie durchdringen meinen Leib, versetzen Blut und Organe in sphärische Schwingungen, bis mich das aufpeitschende Thema des sagenumwobenen, fernen deutschen Rheins hinfortspült.

     Unmittelbar nach dem Präludium ist bereits die erste Pause. Das kommt mir gelegen, ich fühle mich sonderbar erschöpft und habe meine Geschäfte, die ich eigentlich am heutigen Abend erneut aufnehmen wollte, vollkommen vergessen. Ich erhebe mich, taumle in den Gang und lasse mich mit dem Menschenstrom ins Foyer reißen.

     »Verehrteste, entschuldigen Sie meine Zudringlichkeit, aber dürfte ich Sie auf einen Champagner einladen. Es wäre mir eine außerordentliche Freude!«

     Der Klang der tiefen, männlichen Stimme lässt mich aus den Gedanken fahren. Ich sehe auf und blicke geradewegs in ein markantes, geistreiches Gesicht mit hoher Stirn, imposantem Schnauzbart und flinken, blass-blauen Augen. Der Herr streckt mir seine große Hand entgegen.

     »Frederick Waters, Bauunternehmer aus New York und unsagbar stolz, auch an diesem Hause mitgewirkt haben zu dürfen!«

     Ich bin irritiert, nehme seine Hand, und lasse unachtsam den Mantel zu Boden sinken. Noch ehe dieser vollständig aus meiner Armbeuge auf den Marmor geglitten ist, schnellt der Mister mit einer elastischen Bewegung vor, greift zu und reicht ihn mir. Dabei presst er den Pelz eng an mich, hebt im Verborgenen den Rocksaum über die Knie und schaut mit funkelnden Augen von oben in mein Dekolleté.

     »Ich bin Ninette Soubon«, wispere ich.

     Mein Erstaunen über die ungewöhnliche Situation muss mich wie ein unschuldiger Engel erscheinen lassen.

     »Madame Soubon, ich fürchte, ich sollte Ihnen zuallererst etwas beichten: Ich habe Sie beobachtet.«

     Mister Waters räuspert sich.

     »Mit dem Glase.«

     Ich wage es endlich, ihm ins Gesicht zu sehen und meine, einen echten Gentleman zu erkennen.

    »Sie sind mir von meinem Logenplatz sogleich aufgefallen. Niemals zuvor durfte ich einen solchen Anblick genießen: eine wahrhaft unvergleichlich Schöne, entrückt von überirdischer Musik.«

     Bei diesen Worten fühle ich mich aufs Angenehmste geschmeichelt und verharre in meiner Befangenheit. Der Kellner bringt uns den Champagner und wir stoßen an. Forschend mustern mich Waters‘ glänzende Augen.

     »Ich habe Sie doch hoffentlich nicht gekränkt, Madame?«

     Endlich finde ich Worte.

   »Keinesfalls, Mister Waters. Wie könnte ich Ihnen zürnen, wenn Sie mich mit solchen Komplimenten beehren.«

     Er lächelt.

     »Nennen Sie mich doch bitte Frederick! Ich bin froh, meine heutigen Geschäftstermine hinter mir zu haben und mich endlich angenehmeren Dingen widmen zu können. Sie scheinen der hiesigen Kunst ebenfalls äußerst zugetan?«

     Ich nicke eifrig, blicke verlegen auf die Marmorplatte des Stehtisches. Dieses Mal schauspielere ich nicht. Dieser Mann hat mich gefangengenommen und ich bin in ein scheues Reh verwandelt. Ich kann seine steigende Gier spüren, die sich wie ein elektrischer Funkenregen auf mich entlädt und mir wohlige Schauer über die Haut jagt, die ich schon lange nicht mehr empfinden durfte.

    Als die Klingel zum dritten Male ertönt und ich es endlich vollbracht habe, mein Glas zu leeren, tritt Frederick nah an mich heran. Sein männlich-herber Duft nach Tabak und Moschus raubt mir beinahe die Sinne.

    »Madame Ninette, Sie müssen mir gestatten, Sie für die verbleibende Aufführung in meine Loge einzuladen. Falls Sie ablehnen, wird mein Herz augenblicklich aufhören zu schlagen.«

     Wie könnte ich das ablehnen, ist es doch auch mein eigener, sehnsüchtigster Wunsch. Ich hauche ein »Ja« und sein Gesicht erstrahlt vor Glück. Frederick legt mir die rechte Hand an die Taille und geleitet mich sicher durch das Gedränge. Was hatte ich in diesen Logen nicht schon alles für Wollüstigkeiten erlebt! Aber dieses Mal ist es anders, denn ich habe die Kontrolle verloren. Mein Denken setzt aus und als die Musik beginnt, wird alles noch viel schlimmer. Bald sitzen wir eng umschlungen, verschmelzen in andächtiger Ekstase und sind von Tönen durchströmt. Meine Todessehnsucht erwacht. Wie schön wäre es, diesen Moment für immer festzuhalten in einem bis in alle Ewigkeiten fortdauernden Liebestod! Frederick drückt meine Hand so fest, dass es wehtut, doch ich verwandle den Schmerz in Lust und spüre das unwiderstehliche Verlangen, mich diesem Mann bedingungslos hinzugeben.

     Habe ich mich etwa verliebt? Was ist mit mir los? Eine professionelle Hure darf sich nicht verlieben, weil das geschäftsschädigend ist. Doch ich bin nicht professionell, sondern wie die meisten anderen mehr oder weniger zufällig in dieses Gewerbe hineingerutscht. Nachdem meine Eltern und mein Geliebter in Paris an der Pest gestorben waren, kam ich in Quarantäne. Doch wie durch ein Wunder hatte ich mich nicht mit dieser Strafe Gottes angesteckt. Ich war siebzehn und es gab nur noch eine einzige lebende Verwandte: meine Tante in New York. Nachdem die Behörden ihr telegrafiert hatten, wurde ich, zusammengepfercht mit anderen mittellosen Leuten, auf die lange Überfahrt geschickt und kam nach zahllosen Misshandlungen und Vergewaltigungen hier im Hafen an. Die Tante behielt mich genau einen Tag lang unter ihrem Dach. Dann brachte sie mich nach Tenderloin, forderte mich auf, an einer Straßenecke auf sie zu warten und kam nicht mehr zurück. Die anderen Mädchen zeigten mir, auf welche Art sie überlebten. Von Anfang an war ich eine Soubrette, die sich Mund und Hintern füllen ließ, im Abseits stand und jeden Tag wünschte, dass es ihr letzter sein möge.

     »Madame Ninette, mein Gott, Sie zittern und weinen ja!«

     Ich schrecke aus meinen Gedanken. In Panik fasse ich an die Wangen, deren Pudermaske von Tränen lädiert wurde. Zweifellos treten nun meine hässlichen Narben hervor. Seine blauen Augen durchdringen mich.

     »Was hat man Ihnen nur angetan«, flüstert er und küsst mich auf die Stirn.

     Wir verlassen die Loge, noch während der Applaus unvermindert in Richtung Bühne brandet. Im Foyer hält er mich zurück, vor die Spiegel zu eilen, hilft mir stattdessen in den Mantel und winkt draußen einer Luxuskarosse, in die wir beide einsteigen.

     »Bringen Sie uns bitte auf schnellstem Wege zum Fifth-Avenue-Hotel«, weist er den Chauffeur an.

     Während der Fahrt trocknet er mein Gesicht und entfernt zu meinem Entsetzen sorgfältig den weißen Schminkpuder.

     »Was tun Sie da, Frederick?«

     »Ich will Ihr wahres Gesicht sehen – Sie sind unglaublich schön!«


Bezaubernde Unschuld: Das Mädchen Petite-Fleur

     Kaum habe ich die Schwelle des brothels überschritten, stehe ich Janine gegenüber. Sie umarmt mich und ich muss sogleich auf ihr Zimmer folgen. Langsam ziehe ich das Geldbündel aus der Manteltasche und lege es vor sie auf den Tisch. Janine schlägt die Hände vors Gesicht und beginnt dann, die Scheine zu zählen.

     »Mein Gott, Süße, das sind fünfhundert Dollar! Was musstest du dafür tun?«

     Ich zucke nur mit den Achseln, lege den Pelz ab und versuche, gleichgültig zu klingen:

     »Das Übliche, was eine Soubrette so tut.«

     »Ist er derart pervers? Hat er dich geschlagen?«

     Ich verneine.

     »Er hat dir deinen schönen Arsch gefickt?«

     Mein Zögern ist wie ein Eingeständnis. Janine zählt zweihundertfünfzig Dollar ab und legt diese in ihre Tresorkassette. Die andere Hälfte ist offenbar für mich bestimmt. Doch das Fragen nimmt noch kein Ende.

     »Ninette, so verrate mir doch, was dieser geheimnisvolle Mister außerdem mit dir angestellt hat!«

     Sie wedelt provozierend mit den Geldnoten vor meinem Gesicht. Ich atme geräuschvoll aus.

     »Er hat mich bäuchlings auf das Bett gefesselt und stundenlang geküsst, gestoßen, benutzt.«

      Janine lacht ungläubig und reicht mir das Geld.

     »Das ist verrückt – aber wunderbar. Ich wusste, dass du es schaffst! Wann seht ihr euch wieder?«

    »Er meldet sich in ein paar Tagen und wünscht, dass ich bis dahin von keinem anderen Mann angefasst werde.«

     Die Bordellchefin wirkt nachdenklich. Dann legt sie einen Finger an den Rand ihrer sanft geschwungenen Lippen.

     »Ich glaube, ich habe eine geniale Idee, die dir zweifellos gefallen wird!«

 ***

      »Was hat denn unser kleines poussin? Lässt sie noch immer keinen in ihr Kämmerchen?«, fragt Janine und schaut in die Runde dreier Mädchen, die vor einer geschlossenen Tür stehen und sich damit abwechseln, durch das Schlüsselloch zu schauen und Worte gegen das Holz zu zischen, ohne dass aus dem Zimmer dahinter eine Antwort zu vernehmen wäre.

     »Ninette, hinter dieser Tür befindet sich unsere neueste Angestellte, im gleichen Alter wie du, dagegen komplett unerfahren. Sie ist seit ein paar Monaten ein Waisenkind, wurde jedoch auf die Straße gesetzt, weil sie nun alt genug ist, sich selbst ihren Unterhalt zu verdienen«, erklärt mir Janine und klopft energisch gegen das Holz.

     »Colette, meine Petite-Fleur, hier ist ein ebenso junges Ding wie du und möchte dir in den nächsten Tagen beweisen, dass es nichts gibt, wovor man sich fürchten müsste, wenn man sich nur gut genug vorbereitet. Nun sei brav und öffne deiner Mentorin die Türe!«

       Mentorin? Ich soll das verängstigte Kind anlernen?

     »Sie hat wohl heute den ersten Steifen in ihrem Leben zu Gesicht bekommen, erlitt einen Schreikrampf und der arme Mister erschrak, dass er augenblicklich das Haus verließ. Er wollte noch nicht einmal sein Geld zurück«, erklären mir die anderen Mädchen.

     Ich bin unsicher, ob ich mich des Problems tatsächlich annehmen möchte, doch ehe ich etwas einwenden kann, wird von innen entriegelt und ich werde mit vielen guten Worten in die Kammer geschoben. Behutsam drücke ich die Türe zu und blicke auf einen süßen, rosigen Po, der sich mir wie zwei frische Apfelhälften entgegenstreckt. Sorgfältig frisierte, goldblonde Locken fallen wie ein Vorhang über den zarten Rücken bis zur Taille. Das Mädchen ist nur knapp fünf Fuß groß und damit beinahe einen Kopf kleiner als ich. Sie schluchzt, scheint sich dennoch langsam zu beruhigen.

     Endlich reiße ich mich von ihrem Anblick los und spreche sie an:

     »Ich bin die Ninette Soubon. Du kannst mir alles erzählen, was du auf dem Herzen hast! Ich nehme mir jede Zeit der Welt, um dir zuzuhören.«

     Jetzt dreht sich Colette um. Ich bin überwältigt von ihrer reinen, keuschen Unschuld und frage mich, wie das Schicksal es zulassen konnte, ein solches Mädchen ausgerechnet in ein Freudenhaus zu führen. Das lange Haar reicht ihr über die Brüste und endet erst am kleinen Bauchnabel, sodass sie zwar nackt, dennoch nicht entblößt vor mir steht. Ihre grünen Augen mustern mich unter hauchfeinen Brauen.

    »Bist auch du eine Hure?«

     Etwas Vorwurfsvolles schwingt in ihrer Stimme. Ich nicke und nehme sie bei den Händen.

     »Du siehst nicht aus wie eine Hure!«

     Bei dieser trotzigen Erwiderung muss ich lächeln. Mein Gott, die Seele der Kleinen ist ebenso rein wie ihre Jungfräulichkeit.

     »Ich weiß, dass hier auf den Straßen Tenderloins viel Elend zu sehen ist. Aber wir haben Glück – wir sind im Haus von Janine, die uns beschützt, bezahlt, ein Dach über dem Kopf gibt und eine warme Mahlzeit.«

     Colettes Hände sind warm und weich. Ihre kleinen Finger fassen dennoch fest zu. Wir stehen uns mit ausgestreckten Armen gegenüber und meine Blicke verirren sich in ihren Schoß, wo unter hellem Flaum ein kleiner Spalt hervorschimmert.

     »Aber wie du weißt, bekommt man im Leben nichts geschenkt.«

     Sie schaut mich erwartungsvoll mit großen Augen an und ich fahre fort:

     »Darum arbeiten wir für Madame Janine. Wir sorgen dafür, dass viele einsame Männer in dieser Stadt ein wenig Liebe bekommen und Zuneigung erfahren, weil es sonst keiner tun würde. Daran ist nichts Schlechtes oder Unmoralisches – es ist eine Arbeit, die hauptsächlich für uns Frauen bestimmt ist.«

     Das Mädchen mustert meine Narben und wirkt verunsichert. Rasch beruhige ich sie:

»Das hat mir jemand angetan, bevor ich in diesem Haus aufgenommen wurde. Jetzt kann mir nichts mehr geschehen, weil Janine auf uns alle Acht gibt. «

     Ich reiche Colette ihr weißes Satinunterkleid, das über eine Stuhllehne gehängt ist. Schweigend hebt sie abwechselnd die Füßchen und schlüpft hinein. Mit einer energischen Kopfbewegung wirft sie das Haar zurück, um die dünnen Träger über ihre Schultern legen zu können. Einen Moment lang kann ich die nackten Brüste des Mädchens sehen, die nur aus dicken, geschwollenen Knospen zu bestehen scheinen. Ihr Anblick erregt mich sehr und sofort schweifen meine Gedanken zum zärtlichen Liebesspiel mit Janine, das bisher leider keine Wiederholung erfahren hatte.

     Ganz bewusst vermeide ich es, die arme Colette mit Fragen zu behelligen, die sie vielleicht erneut in Traurigkeit stürzen könnten. Darum erwähne ich weder das Waisenhaus noch den Tod ihrer Eltern, von dem ich bisher nichts Genaues erfahren habe. Stattdessen nehme ich das süße Kind mit auf einen Rundgang durch das brothel. Ich zeige ihr die Küche, die Nähstube, den Speisesaal und – lasse sie durch das Schlüsselloch einer der vielen Kammern schauen, hinter denen eine der Frauen ihrem Gewerbe nachgeht. Wie ich es vermutete, ist Colettes Neugierde stärker als ihre Furcht. Je lauter die Lustschreie aus dem Zimmer werden, desto fester presst sie das Auge gegen die Tür.

     »Sag mir, was du siehst, Petite-Fleur«

     Sie zögert, dann entschlüpft ihr ein Kichern.

     »Der Mann liegt auf der Dame und hüpft hoch und runter.«

     Ich vermag ein Schmunzeln nicht zu unterdrücken. So kann man das freilich auch beschreiben. Nach einem orgiastischen Fortissimo wird es ruhig und Colette schnellt empor.

     »Was ist los?«

     Sie schlägt die Augen nieder»

     »Ich habe es erneut gesehen. Der Mann hat sich genau zur Tür gedreht.«

     Ich nehme die Süße in den Arm.

    »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde es dir zeigen und genau erklären, weshalb es das größte und lustvollste Wunder in der Natur der Liebe zwischen Mann und Frau ist.«

 ***

     Janine bleibt nicht verborgen, dass sich die kleine Colette bei mir geborgen fühlt. Sie trifft daher kurzentschlossen eine kluge Entscheidung und lässt uns zusammen eine etwas größere Kammer mit einem Doppelbett beziehen.

      »Ich danke dir für dein großes Einfühlungsvermögen, liebe Ninette. Niemand sonst hätte es vermocht, sich so rührend um unser poussin zu kümmern. Lass ihr die Zeit, die sie braucht.«

     Janine hat ein großes Herz – und einen messerscharfen Geschäftssinn. Ich bin mir sicher, dass sie die kleine Colette ebenso wie mich keinesfalls der harten Dauerbelastung der anderen Mädchen aussetzen, sondern sie besonders gut zahlenden Kunden vorbehalten wird. Niemandem wird es erlaubt werden, Petite-Fleur für lumpige sechs Dollar zu beschmutzen.

     Es erregt mich sonderbar, als ich am Abend vor Colette die Kleider ablege. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie provozieren, ihre Lust herausfordern möchte. Darum setze ich mich vor die kleine Kommode in Pose und kämme mein Haar. In einer Ecke des blinden Spiegels sehe ich Colette. Sie beobachtet mich.

     »Chouchou d‘amour, sei ein Engel und hilf mir!«

     Sie tritt hinter mich und ich reiche ihr den Kamm. Zögernd und behutsam fährt sie damit durch mein langes, schwarzes Haar.

     »Ninette, du bist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe«, flüstert das Mädchen.

     Bei diesen Worten durchströmt es mich heiß. Obgleich sich meine üppigen Formen deutlich unter dem dünnen Kleid abzeichnen, scheint sie daran keinen Anstoß zu nehmen. Keinesfalls würde ich ihr gegenüber gestehen, dass ich mit meinen kleinen Hängebrüsten ebenso hadere wie mit den breiten Hüften. Seitdem mich jedoch sowohl Janine als auch der wohlhabende Frederick Waters so hemmungslos begehrten, fühle ich mich sicherer. Könnte ich die Kleine verführen? Kaum hat sich dieser Gedanke in meinem Kopf festgesetzt, da lasse ich bereits die Träger meines Kleids hinabrutschen. Ich übergehe Colettes Bemerkung und streiche mir ein paar Strähnen aus der Stirn, wobei der Stoff über eine Brust nach unten rutscht. Colette hält inne, starrt mich im Spiegel an. Ihre Finger krallen sich mit aller Kraft um das Perlmutt des Kamms, dass ihre Handknöchel ganz weiß werden.

     »Möchtest du mich denn gar nicht berühren, mon ange?«, hauche ich.

     Endlich löst sich das Mädchen aus seiner Versteinerung, lässt den Kamm zu Boden fallen und streckt die Hand nach mir aus. Im Glas sehe ich, wie ihre Finger vorsichtig um meine Brust fassen. Die Berührung ist dermaßen wonnevoll, dass ich seufze und für einen Moment die Augen schließe. Colettes Hitze dringt über die harte Brustwarze in meinen Leib, versengt meine Adern und setzt schließlich mein Herz in Brand.

     »Küss mich!«

     Sie neigt ihren Kopf. Die üppige Lockenpracht kitzelt meinen Nacken, dann das Gesicht, die Schulter und meinen Busen. Das Haar versperrt mir die Sicht auf das, was ich voller Inbrunst fühle: den keuschen, zarten Kuss einer Jungfrau auf meiner Knospe. Im Schutz der herabfallenden Frisur hebt sie meine Brust an, wagt es sogar, diese mit der Zungenspitze zu umspielen. Die kleine Colette gibt mir das Gefühl, solche Zärtlichkeiten zum ersten Mal erleben zu dürfen, obgleich mich schon viele verwöhnten.

     »Bist du bereit, von mir eine kleine Lektion zu erlernen?«, stöhne ich unter den zaghaften Liebkosungen des Mädchens.


Götterdämmerungs-Orgie

...

      Inzwischen ist über die Metropolitan Opera die ›Götterdämmerung‹ hereingebrochen. Ich liebe das Ende des ›Ring‹-Zyklus am meisten, weil alles, einfach alles vernichtet wird. Es war für mich stets überwältigend, schon als kleines Mädchen in der Pariser Oper erleben zu dürfen, wie nach all dem Leid und der Intrigen nur noch ein tanzender Loge im Feuer triumphiert, aus dem etwas Neues entstehen kann, verbunden mit der Hoffnung, dass es etwas Besseres sein möge. Mich fasziniert weniger die Zerstörung, als vielmehr dieser kleine Hoffnungsschimmer, den ich bereits als Kind instinktiv empfinden konnte. Mein Vater strich am Ende der Oper über mein Haar und gab mir Karamellbonbons, weil ich so geduldig ausgeharrt hatte. Dabei wäre er vermutlich zutiefst erschrocken gewesen, wenn er geahnt hätte, wie tief diese Musik und das Drama in mein junges Herz gedrungen waren.

     » Petite-Fleur, für dich wird das Ende der Anfang sein«, flüstere ich ihr zu, als wir beide das Foyer betreten.

      Unser Erscheinen gibt Anlass zu vielen neugierigen Blicken, denn wie ich mich in den zahlreichen Spiegeln überzeugen kann, ähneln wir zweifellos ›Grazien der Nacht‹. Für einen Teil des verdienten Geldes, von dem ich Colette ihr Quantum von zweihundertfünfzig Dollar bezahlte, kauften wir herrliche Taftkleider mit verführerischem Dekolleté, rüschenbesetzten Ärmeln und einer kleinen Schleppe. Als Reminiszenz an die reizenden Capes von Mister Waters tragen wir die Farben Schwarz und Rosa, von den Schuhen bis zu den federgeschmückten Hüten. Unsere Gesichter werden geheimnisvoll von einem engmaschigen Haarnetz verborgen, das bis über die Augen reicht.

     »Die Herren liegen uns zu Füßen, spürst du es, mon ange?«


Cherokee-Rose

      »Wo ist Petite-Fleur? Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen«, frage ich Madame Janine.

      Sie lehnt in einer dunklen Zimmerecke und raucht. Die aufglimmende Zigarette beleuchtet für einen Moment ihre Lippen, die von einem strengen, kalten Zug umspielt werden.

     »Die Kleine ist schon längst wieder arbeiten. Sie ist nicht so zimperlich wie du, Ninette.«

     Ich kann das nicht glauben.

     »Was, sie ist alleine da draußen und schafft an?«

     Janine nickt und stößt hektisch den Rauch aus.

     »Irgendwann werden wir alle erwachsen, Süße. Worauf wartest du? Mach dich chic und geh in deine Oper!«

     Fassungslos starre ich zu ihr hinüber.

    »Ist Colette auch dort oder wo hast du sie hingeschickt?«

     Die Chefin zerdrückt ihre Zigarette, tritt aus dem Dunkel heraus und geht an mir vorbei, ohne mich anzublicken.

    »Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich halte das Mädchen für alt genug, alleine loszuziehen.«

     Mir schwindelt, ein eisiger Schauer überfällt meine Haut.

    »Du verfluchte Lügnerin! Ich glaube dir kein Wort!«

     Janine läuft weiter, dreht sich nicht um, weist mich nicht zurecht. Das ist wie ein Eingeständnis für mich.


 

Glossar

brothel:              Freudenhaus, Bordell

Canapé:              hier: üppiges Sofa

Chouchou:          Liebling

Crescendo:          ansteigende Lautstärke in der Musik

doll:                  Mädchen, Girl, Frau

fortissimo:          sehr laut (Musik)

guy:                  Mann, Kerl, Typ

Tenderloin:         größtes Rotlichtviertel Manhattans mit der höchsten Kriminalitätsrate der USA

Tombs:              düsterer Gefängnisbau in Lower Manhattan, deren unterste Ebene mit den Gezeiten unter Wasser stand und u.a. kleine, enge Dunkelzellen besaß

Petite-Fleur:       ›Kleine Blume‹

pimps:               Zuhälter

poussin:             Küken

sporting man:      sexuell sehr aktive Männer der Mittel- und Oberschicht, auch Sextouristen


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